Demographische Dynamik zwischen Wachstum und Schrumpfung
Die Metropolen werden weiter wachsen. Noch vor einigen Jahren galt es als ausgemacht, das Deutschlands Bevölkerung ab 2040
schrumpfen würde – im ländlichen Raum stärker als in den Städten. Die Unberechenbarkeit der geopolitischen Situation und eine anhaltende Zuwanderung aus der EU sowie dem globalen Süden gleichen den Bevölkerungsrückgang inzwischen mehr als aus.
Insbesondere in den Städten ist für die nächsten 20 Jahre von weiter starker Zuwanderung auszugehen, zumal sich in einzelnen Städten die Geburtenraten erholt haben. Insgesamt ist die Stadtbevölkerung in Metropolen wie Hamburg und München jünger geworden – ein Gegenbild zur vielbeschriebenen Alterung der Gesellschaft. Allerdings ist die neue demographische Dynamik extrem ungleich verteilt: Das Wachstum konzentriert sich auf die Metropolenräume, während die meisten ländlichen Regionen von Abwanderung betroffen sind. Und auch in den Städten gibt es weiterhin stagnierende Zonen, während andere
Bereiche extrem wachsen.
Auch Hamburg wird weiter wachsen. Insbesondere die Kernstadt-Stadtteile werden anhaltend unter Wachstumsdruck stehen, aber auch die Metrozone wird „urbanisiert“. Und in den Teilen der Suburbia, die gut angebunden sind, wird die Preisspirale ebenfalls schnell nach oben gehen.
Selbstverstärkung der Ungleichheit
Die Metropolen werden ökonomisch zerrissener Die ungleiche Verteilung der demographischen Dynamik ist Hauptursache für eine sich
verstärkende soziale Polarisierung zwischen Stadt und Land, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen wohlhabenden und armen Quartieren. Insgesamt kann angenommen werden, dass innerhalb der Städte die Ungleichheit eher weiter steigen wird – zu Lasten heute schon marginalisierter Räume.
Nur dort, wo der Wachstumsdruck außerordentlich groß ist, können solche Räume durch Überschwappen demografischer und ökonomischer Dynamik aus den wohlhabenden Bereichen wieder Anschluss finden, was aber eine weitere Verdrängung der Ärmeren an noch peripherere Orte zur Folge hat.
Hamburg ist eine der polarisiertesten Städte Deutschlands. Die Marginalisierung ganzer Stadträume wird weiter vertieft werden, unterbrochen nur durch die „Landnahmen“ der wohlhabenderen Bevölkerungsschichten und ausgesuchten Lagen der marginalisierten Stadt.
Polarisierung der Werte
Das Kennzeichen der postmodernen Gesellschaft ist die Vielfalt der Lebensstile und Werte-Einstellungen, die längst zu einem Nebeneinander völlig getrennter Gruppen führt. In Zeiten von Filterblasen keine ungefährliche Tendenz: Es fehlt zunehmend der verbindende Mainstream, auf den sich alle einigen können – und damit eine Grundlage auch für einen „Common Sense“. Schon heute gibt es in Hamburg die Tendenz von Parallelgesellschaften, die sich weder solidarisch noch einer gemeinsamen Sache verpflichtet fühlen.
In der Stadt von morgen könnten sich manche Werte-Gruppen unversöhnlich gegenüber stehen.
Industrie 4.0: Rückkehr der Produktion
Dass eine Wissensgesellschaft nicht ohne produktiven Kern auskommt, ist inzwischen Mainstream der ökonomischen Diskussion. Die Digitalisierung der Produktion eröffnet dabei ganz neue Chancen in Form der Dezentralisierung bzw. Atomisierung von Produktion. Die Fabrik der Zukunft ist ein über viele Standorte verteiltes Netzwerk von Standorten bis hin zum Makerplace, an dem der zum „Prosumenten“ gewordene Kunde den letzten Produktionsschritt selber vollzieht. Manufakturen können mit Hilfe digital gestützter Produktionsmethoden stadtverträglich produzieren und ohne große Vertiebsnetze ihre Produkte absetzen.
Hamburg ist an dieser Front vorne dabei – mit seinen neuen Makerspaces und dem Produktionsstandort Rothenburgsort. Welchen zahlenmäßigen Stellenwert die neue urbane Produktion an der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands haben wird, bleibt abzuwarten.
Erschütterung der Arbeitswelt
Digitalisierung gibt es nicht ohne Nebenwirkungen. Die Schätzungen, wie viele Jobs in den kommenden zehn Jahren durch Automatisierung entfallen, gehen auseinander. Fakt ist: Roboter und Algorithmen drohen auch qualifizierte Tätigkeiten obsolet zu machen. Und auch wenn neue Jobs entstehen – die alten Qualifikationen werden kaum auf die neuen Profile passen. Wie geht eine Stadt wie Hamburg mit dem freiwerdenden Arbeitskräfte-Potenzial um? Trägt der digitale Wandel zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei oder kann er neuen Raum für gemeinschaftsorientierte Tätigkeiten eröffnen?
Digitalisierung von urbanen Systemen
Die Digitalisierung erfasst die Stadt: Unter der Überschrift der „Smart City“ haben sich viele europäische Kommunen aufgemacht, die digitale Aufrüstung und Vernetzung ihrer Dienste und Infrastrukturen voranzutreiben.
Ob im Bereich der Energieversorgung (Smart Grids), des Wohnens (digitale Haussteuerung), der Verkehrssysteme (automatisierte Verkehrsleitung), des Gesundheitssystems oder der öffentlichen Services (E-Administration): Die „Smart City“ verspricht mehr Effizienz in der Ressourcennutzung, mehr öffentliche Sicherheit, eine höhere Bedarfsgerechtheit der öffentlichen Services und damit ein Plus an Lebensqualität für ihre Bewohner.
Diesem primär durch Unternehmen und unternehmensnahe Forschungsakteure propagierten Versprechen stehen kritische Positionen aus der Digitalcommunity und der Wissenschaft gegenüber. Die flächendeckende Installation von Sensoren, das weiträumige Sammeln von Daten zur Nutzung der städtischen Räume und die Vision einer auf dieser Grundlage möglichen automatisierten Echtzeitanpassung von Systemen wie der Verkehrssteuerung oder der Energieversorgung lösen massive Bedenken aus.
Wer kontrolliert diese komplexen Systeme technisch und politisch? Wie verwundbar sind sie? Wem gehören die gesammelten Daten? Welche Kontrolle haben Bürger über die Verwendung der Daten? Wie sehr liefern sich Kommunen dem exklusiven technischen Sachverstand der Smart-City- Anbieter aus – Unternehmen wie IBM, Cisco, Microsoft oder Google, die die Digitalisierung der Stadt längst als bedeutendes Geschäftsfeld erkannt haben?
Geteilte und umweltfreundliche Mobilität
Nie war das Mobilitätsbedürfnis der Stadtbewohner größer – bei aller Rückbesinnung auf die „Stadt der kurzen Wege“. Mobilität muss heute einem Erwartungsdruck gerecht werden, der sich aus der „jetzt-sofort“-Kultur des Internets speist: Wir haben das Warten verlernt. Die Mobilitätsangebote der Stadt müssen versuchen, dieser Ungeduld gerecht zu werden. UBahnen im Zweiminutentakt, Bike- und Car-Sharing an jeder Ecke der inneren Stadt, am besten alles vernetzt über eine App buchbar: Verkehrsmittel werden vielfältiger und verfügbarer.
Dabei hat das persönliche Auto in mehrerer Hinsicht das Nachsehen. Es muss Platz an andere Verkehrsträger abgeben, es verliert zusehends seinen Wert als Statussymbol. Falls das fahrerlose Fahren jedeoch einen Durchbruch erlebt, könnten die Verhältnisse erneut auf den Kopf gestellt werden. Dann könnten neue Mischformen aus ÖPNV und MIV zu erneut steigender Beanspruchung der Straßen führen. Bei alledem bleibt der Zugang zu Mobilitätsangeboten ein entscheidender sozialer Faktor.
Einer gut ausgestatteten „Mobilitäts-Zukunftsstadt“ wird eine „Mobilitäts-Steinzeitzone“ gegenüber stehen, vorwiegend in den marginalisierten Gegenden der Stadt, wo sich die überwiegend privat organisierten neuen Mobilitätsdienste nicht rechnen. Das Geschäftsgebiet der Anbieter wird künftig die Grenze zwischen „in“ und „out“ markieren.
Die selbstorganisierte Stadt
An immer mehr Orten machen sich Bürger auf, selber Stadt zu „machen“. Die Bandbreite des Stadtmachens ist groß, sie reicht vom Urban Gardening über Initiativen, in denen sich technische, ökonomische und sozialpolitische Aspekte vermischen (Fab Labs, Repair Cafés, Nachbarschaftszentren) bis hin zu veritablen Großprojekten wie der von Stadtaktivisten gemeinsam mit einem Schweizer Pensionsfonds betriebenen Quartiersentwicklung für den Holzmarkt in Berlin.
Mit Hilfe des Crowdfundings und Crowdinvestings wird das Stadtmachen von einem Nischenphänomen allmählich zu einer ernstzunehmenden Größe in der Stadtentwicklung. In Zukunft werden neben den bekannten Playern immer mehr lokale, zivilgesellschaftlich gegründete „Investoren“ wie Bürgergenossenschaften oder -stiftungen um die Flächen der Stadt buhlen. Es wäre gut, wenn die Immobilienwirtschaft diese neuen Akteure nicht als Konkurrenz, sondern als Partner verstünde. Denn gemeinsam kann man die Synergie entfalten, die eine nachhaltige Stadtentwicklung heute braucht: ökonomische Kraft und lokales Wissen zu vereinen.
Zwischen De- und Re-Globalisierung
Lange galt das Paradigma einer fortschreitenden ökonomischen Globalisierung. Die politischen Erschütterungen der vergangenen Monate und Jahre hinterfragen dieses Paradigma und lassen eine Phase der partiellen De-Globalisierung erwarten, mit möglicherweise gravierenden Folgen auf Handelsströme und Wertschöpfungsketten. Gerade eine Handels- und Hafenstadt wie Hamburg könnte enorm unter einer solchen Politik leiden.
Schon heute scheint der Hafen anhaltend zu stagnieren. Allerdings lassen sich viele globalisierte Strukturen nicht einfach zurückdrehen. Während die Politik neue Barrieren entstehen lässt, eröffnen sich anderswo neue Brücken. Ob Hamburg dabei weiterhin eine solch herausragende Rolle als Handelsstadt spielen wird, ist zumindest ungesichert.